Dienstag, 19. Juli 2011

Märchenstunde

Kopfbahnhof 
Ein klammes Gefühl der Hilflosigkeit ergriff von mir Besitz, ohne dass ich zuvor dieses Gefühl beim Heranschleichen bemerkt haben konnte; denn es war einfach da. Ich könnte nicht von mir behaupten, Herr über meinen Körper zu sein... zwar stehen mir alle menschlichen Sinne zur Verfügung, doch in meinem Kopf wirbelten meine Gedanken in einem Synapsentanz umher. Unbegreifliche Bilderfetzen und Gedankenfragmente fügten sich einem ungeordneten Chaos zusammen, um voneinander wieder abzuprallen und in unregelmäßigen Abständen vor meinem inneren Auge zu erscheinen. Manchmal spült der Regen die Gegenwart fort, um alles mit einem Meer aus Erinnerungen zu überfluten.


Und auf einmal schien die Vergangenheit mit Ihr in den Zug eingestiegen zu sein. Auch die zurückbleibende Strecke kann kein Zeuge für die Flucht nach vorn sein, denn die Zeit ist allgegenwärtig. Ob nun vergangen - oder nicht. Doch weshalb messen wir die Zeit auf diese getätigte mechanische Weise? Was sind Augenblicke, Küsse oder Momente, in welchen alles ineinander fällt, laut dieser Rechnung? Ich weiß es nicht...
Ich habe die Augen in der Hoffnung, nicht von
Ihr bemerkt zu werden und Ihr in die Augen schauen zu müssen, geschlossen. Doch Sie hat - unbewusst, sofern ich das mit halb geöffneten Lidern beurteilen kann - die andere Richtung gewählt. Nicht gegen die Zeit, sondern der Fahrtrichtung entgegen. Gen Zukunft, mit Höchstgeschwindigkeit. Wie Sie es bereits mindestens einmal zuvor getan hat. Das Herumwühlen in der Vergangenheit sei eine lächerlich schmerzhafte wie unnötige Sache. Doch inwiefern darf man dann die Tatsache verstehen, dass wir vom Erlebten geprägt - wenn nicht mitbestimmt - werden? Käme dies nicht einer gegenwärtigen Verleugnung der eigenen Persönlichkeit nahe? Die Persönlichkeit zu leugnen hieße dann die Eigenexistenz zu leugnen, zumindest in gewisser Weise. Wenn wir also unsere Vergangenheit verleugnen... haben wir dann überhaupt gelebt und leben wir dann überhaupt? Der Zug des Lebens fährt bis zum Kopfbahnhof ununterbrochen in nur eine Richtung, doch wenn wir die zurückgelegten Strecken vernachlässigen und nicht auf zurückgelassenen Schienenbau achten, können wir die zukünftige Strecke nur ... unwissend wählen.
Allerdings scheint
Sie sich zielstrebig nach vorn zu tasten, wie mir nun beim Anblick Ihrer Rückseite in den Sinn gekommen ist. Vielleicht hat Sie mich doch gesehen? Möglich wäre es, das Abteil ist nur mit wenigen Leuten gefüllt und bei wem könnten wir beide wohl nicht imstande sein, den Menschen auf den ersten Blick zu erkennen? Vielleicht sollte ich einen Schritt mit der Zeit gehen und Ihr folgen, doch mag ich für diese Sisyphosaufgabe zu feige sein. Ein Grund für den Bruch? Allerdings musste unsere Zusammenkunft nur brechen können, denn die Anfänge konnten wir beide nicht ahnen. Jung sind wir gewesen, doch die Überraschung über die Ereignisse hatten nichts damit zu tun. Es hätte wohl nicht anders ausgehen können, letztendlich sorgte der Anfang von uns beiden für unser beider Ende. Wenn man auf etwas derartig Unerwartetes stößt, kann man nicht mehr Herr über die weiteren Geschehnisse sein. Das Unerwartete nimmt einen in sich auf, umschließt den Leib sachte und verformt den Geist. Das helle, in den Zug eindringende Licht umschließt mich in ähnlicher Weise.
***
Wie lange schon?" Stella blickte mich aus dem Halbdunkel heraus an. Auf diese Frage konnte ich nur vage antworten. Ohne genaue Messung und mit gleichbleibender Umgebung konnte ich mich selbst auch schlecht orientieren. "Schätze... etwa 100 Stunden." Ihr süffisantes Lächeln umformte ihre Antwort: "Du könntest manchmal kaum pedantischer sein. Zumindest kommt es mir so vor. Vier gottverdammte Tage hätten ihren Zweck auch getan." "Bist Du mit diesem Hinweis nicht selbst etwas pedantisch?" "Halt die Klappe." Meine Aufmerksamkeit widmete ich darauf meiner auf meinem Schoß liegenden Jacke. Meine Finger ertasteten einen sich lösenden Knopf, meine Gedanken darauf die Belanglosigkeit dieser Tatsache. Mir war etwas unbehaglich, aus Nervosität versuchte ich, mich mit etwas Anderem abzulenken. 
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Als sich nun hinter dem Fensterglas Bäume anreihen, wird meinen Augen durch deren Schatten wieder mehr Funktion erlaubt und meine Hände graben sich in meine Jacke. Diese plötzliche Erinnerung hat meinen Lungen Luft genommen. Den Kopf in die Lehne pressend kann ich wieder viele Bilder sehen. Bruchstücke meiner Erinnerung, unmöglich zerfetzt. Die Sonne blendet mich erneut und erinnert mich an die einströmende Helligkeit der Kellertür, unsere Verabredung in diesem Schulkeller, an kurzweilig angenehme Zeiten nach dieser Geschichte. Doch weil auf Licht nur Schatten folgen kann und heitere Gedankenfragmente viel zu oft durch Zweifel geschwärzt werden, sind mir auch Ihre steigernde Selbstsucht, Ihre Egozentrik und unser unerwarteter Bruch in den Sinn gekommen. Den Teufel möchte ich tun und mich auf Ihren anziehenden Sog einlassen! 
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Mit schwingenden Hüften schritt Stella an einer Affenhorde von Klassenkameraden auf dem Schulhof vorbei. Es waren die letzten unbeschwerten Schultage, bald sollte die gemeinsame Schulzeit für uns enden und uns in verschiedene Orte auf der Welt verstreuen. Da auch die Sommerferien kurz bevor standen, betonten die gewagten Kleidungsstücke Stellas wohlgeformten Körper und die Affenhorde brüllte um Aufmerksamkeit. Obgleich sie wohl jene genoss, fuhr sie sich durch ihr glänzendes naturblondes Haar, das in der Sonne als Weißgold wie ihre marmorfarbene Haut schimmerte, ignorierte die Menschen um sich herum und näherte sich mir. Wir kannten uns lediglich flüchtig und ich fragte mich nach dem Grund dieser Aufsuchung. Als sie ihr Ziel erreicht hatte, ließ sie lächelnd ihren Finger spielend auf meiner Brust umher fahren, blickte mich mit smaragdgrünen Augen an und flüsterte mir, indem sie sich gekünstelt an mir abstützte, in das Ohr: "Ich möchte ein süßes, kleines Geheimnis mit Dir haben. Dafür müsstest Du nur zur richtigen Zeit am passenden Ort sein." Von dieser unerwarteten Anspielung aufmerksam geworden, schaute ich ihr ungläubig in die Augen. „Es ist kein Scherz, Du musst nur zustimmen.“ Ein jeder hätte wohl zugesagt, doch ich konnte es noch immer nicht wirklich realisieren. „Na komm schon, ich kann Dir zwar nicht versprechen, artig zu sein, doch das liegt wohl nicht in unser beider Interesse“, kicherte sie. Aufgelockert musste ich nun auch lächeln, sie sah mich glücklich an und verließ mich wieder eilig. Ich nahm das Angebot damit in ihren Augen wohl an und als mir diese Tatsache bewusst wurde, verließ mich auch meine Gesichtsfarbe.
Einige Tage vergingen und mir wurde klar, dass ich nun wohl nicht mehr ablehnen konnte. Ich fürchtete mich vor der Vorstellung ihres Wunsches, doch als entscheidungsunfähig wollte ich nicht gelten. Zwar kannte ich Stellas Wesen nur schlecht, doch ich traute ihr zu, mich aus gekränkter Eitelkeit öffentlich anzuschwärzen. Ein unangenehmer Gedanke, die Angst vor einigen sicher schönen Stunden mit diesem schönen Leib wirkte dagegen wie sich in der Luft auflösender Rauch, den man zwar noch erahnen, doch sicherlich nicht mehr wahrnehmen konnte. Kurz darauf teilte sie mir mit, dass sie mich nach dem Unterricht in einem der Schulkeller treffen wolle. Dies passte in meinen Augen zu ihrem eigenen Wesen.
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Allerdings könnte ich nicht behaupten, dass nicht ab und an an Sie denken müsste. Es ist nicht so, dass ich Sie vermisse, dafür ist zu viel Zeit vergangen. Doch ich bin als Träumer geboren und somit male ich mir wohl viel zu oft die Fragen aus, wie es hätte anders geschehen können. Wäre es möglich gewesen, dass sich unsere Wege weiterhin kreuzten und nicht parallel verlaufen? Was würde geschehen, wenn ich mich nun einfach neben Sie säße? Die Neugierde wird von meiner immer noch bestehenden Zuneigung angetrieben, wie es scheint. Mein Gewicht verlagert sich bereits unbewusst auf meine Beine, ich könnte jederzeit aufstehen und mich von den beiden Gefühlen leiten lassen.
Ein Kind rennt an mir vorbei, es erkundet wohl den Zug. Sollte ich dieses Abenteuer auch wagen? Letztendlich würde sich mein Leben wegen Stellas schlechtester Resonanz sicherlich kaum ändern, vielleicht wäre es sogar ein erfreuliches Erlebnis. Zögerlich aufstehend blicke ich mich erst unsicher um. Auf dem Weg zu Stella gibt es nötigenfalls eine Toilette als Alibi, sollte sich meine Meinung doch ändern. 
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Es gab also keine Ausweichmöglichkeit, ich nahm das Angebot an. Unauffällig steckte ich den Kellerschlüssel ein, als das Hausmeisterbüro unbeaufsichtigt offen stand. Den Schlüssel in der Tür stecken gelassen, ließ ich die Tür einen Spalt offen und setzte mich im Keller auf eine der ersten Treppenstufen. Etwas später folgte mir Stella, sie schlich sich katzenartig durch den Spalt und schloss hinter sich langsam die Tür. Selbstbewusst setzte sie sich auf meinen Schoß, fuhr mir mit ihrer Fingerspitze über die Wangen und wunderte sich über meinen entsetzten Blick. „Du musst doch nicht unsicher sein, mein Süßer“, hauchte sie. „Das ist nur mein anfängliches Problem gewesen. Du … hast die Tür geschlossen.“ „Ich bin weder exhibitionistisch veranlagt, noch möchte ich kurz vor dem Schulabschluss in Schwierigkeiten geraten. Der Ort als solcher dürfte für die Spannung ausreichend sein.“ „Du verstehst nicht, der Schlüssel steckt in der Tür. Außen. Ihn benötigt man, um von beiden Seiten aufschließen zu können.“ Sie wich von mir und stand aufrecht, als sich ihre Augen weiteten. „Was sollen wir nun machen?“ Auf diese Frage fiel mir auch nach längerem Nachdenken nichts ein.
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Langsamen Schrittes ertasten sich meine Füße den Weg nach vorn. Ist mir wirklich bewusst, wohin er mich führt? Die Worte, die ich sagen möchte, existieren noch nicht. Können sie es überhaupt? Dann stünde ich wohl wie ein stummer Narr vor Ihr und mein bizarrer Anblick würde davon unterstützt, dass mir in dieser Situation erst recht keine weiteren Worte in den Sinn kommen könnten. Selbst wenn dies dann nicht unbedingt Folgen für mein Leben hätte, würde ich mich doch sehr daran stören, dass Sie anschließend sehr wahrscheinlich dieses Bild eines stummen Fisches von mir hätte. Auf unerklärliche Weise möchte ich den bestmöglichen Eindruck vermitteln, obgleich Sie doch auf unerklärte Weise plötzlich keinen Kontakt mehr zu mir wollte und ich Ihr vielleicht niemals verzeihen kann, dass Sie mich den Grund nicht hatte wissen lassen. Sicherlich möchte ich Ihr immer noch gefallen, weil Sie mich stets faszinieren konnte und trotz allem eine wunderliche, aber dennoch anziehende Person ist. 
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Mir ist nach Fliegen!“, teilte sie mir mit. „Nach Fliegen? Nun, wir könnten zusammen verreisen, das hättest Du doch schon früher sagen können. Lange haben wir keine Freizeit mehr, der Herbst naht mit seinen Verpflichtungen.“ „Aber doch nicht, um ein Ziel zu erreichen. Und erst recht nicht mit einem Hilfsmittel. Ich möchte fliegen, das ist alles.“ Sie packte meine Hand und zog mich eilig durch das Gras, das den Park um uns herum formte. Verwirrt und überwältigt folgte ich ihr und versuchte mich gegen ihr Vorhaben zu wehren, als ich nach wenigen Minuten eine kleinere Brücke über einen Fluss gebogen sah. „Warte, Sekunde, dass kann nicht Dein Ernst sein, Stella!“, schrie ich ihr zu. „Aber das habe ich doch nicht behauptet, das soll nur unsere nächste Tätigkeit sein! Ernst... nein, das hier wird wie Fliegen sein.“ Widerwillig löste ich meine Hand und schaute zu, wie sie sich in das Wasser fallen ließ. Was könnte nur alles geschehen? Doch so schnell sie sich dafür entschieden hat, im Wasser zu verschwinden, so schnell tauchte ihr Kopf auch wieder auf. Mit einem zufriedenen Grinsen forderte sie mich auf, es ihr gleich zu tun. Verneinend nickte ich mit dem Kopf, worauf sie sich nur verächtlich umdrehte und zum Ufer schwamm. Ich stützte meine Hände auf das Geländer und betrachtete entspannt das nun wieder friedliche Gewässer. „Du hast wohl vergessen, dass ich von uns beiden das Mädchen bin“, ertönte es hinter mir und zerstörte das vollkommene Gesamtbild des Wassers. 
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Ein Abteil. Ein Abteil, und eine Glasscheibe. Mehr trennt uns nicht. Nicht mehr. Sie hat sich kaum verändert, sieht sozusagen sich selbst ähnlich. Noch immer sehr attraktiv und der gewohnte verträumte Blick lässt auf Ihre träumerische Abwesenheit schließen. Ich halte mich an der Tür fest und verstecke mich im Zwischenabteil. Der Zug fährt in einen Tunnel hinein und um mich herum legt sich ein Schutzmantel von alles einnehmender Dunkelheit.
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Ich möchte hier raus. Diese Zelle ist nichts für mich. Ich weiß nun, wie sich richtiger Hunger anfühlt. Hätten wir keinen Wasserhahn, wären wir längst verdurstet und das elektrische Licht hat uns vielleicht vor dem Verrücktwerden bewahrt. Es reicht. Bitte sorge dafür, dass es aufhört“, flehte sie mich an. Die Aggressionsphase schien nun endlich vorüber zu sein. Stunden zuvor war ihr noch alles verhasst, nun wurde sie wieder etwas rationaler. Allerdings auch nur teilweise, was hätte ich denn schon ausrichten können? Doch ihr zuliebe versuchte ich erneut, mit Tritten an die Tür jemanden auf uns aufmerksam zu machen. Sechs Tage haben ihre Spuren hinterlassen, ich könnte nicht sagen, dass wir beide angenehm rochen oder wie unser alltägliches Spiegelbild aussahen. Die Schule, unsere Eltern und auch die Polizei suchten uns sicherlich. Wir kamen uns beide wie zwei unzufriedene Kinder vor, die es den Eltern heimzahlen wollten, indem man einfach nicht mehr nach Hause gekommen, sondern fortgelaufen war.
Dieses unfreiwillige Beisammensein sorgte aber auch für eine Annäherung, die nicht nur aus körperlicher Qualität bestand. Ich nahm nicht an, hier sterben zu müssen und deshalb schien mir der Gedanke, nach diesem Szenario wieder allein in einem Zimmer zu leben, auf eine seltsame Art befremdlich. Ich hatte mich sehr an ihre Anwesenheit gewöhnt und erfahren, dass mir ihr Charakter sehr zusagt, sofern sie nicht ihre misanthropische Phasen hatte, die in meinen Augen in diesem Zusammenhang jedoch legitim waren.
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Das Sonnenlicht erhellt den Zug, der den Tunnel hinter sich lässt. Die sich vor mir befindende Schiebetüre wird langsam zur Seite geschoben, mein Atem erstarrt wie meine Muskulatur. Mein Versteck ist nicht ausreichend und Sie zeigt ebenso Interesse an mir? Die Gesichtsbehaarung der eintretenden Person tilgt diese Gedanken und sie möchte mein Ticket sehen. Nach diesem formalen Vorgang verlässt sie mich auf der Suche nach anderen Fahrkarten. Ich fühle mich, als ob ich bei einem Knabenstreich ertappt worden sei und setze mich auf einen der sich hier befindenden Klappsitze, um mich meinem äußeren Umfeld etwas anzupassen.
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Nachdem wir schließlich gefunden worden waren, fühlte sich Stella in meiner Abwesenheit auch einsam, wir vermissten uns und somit verbrachten wir weitere Stunden zusammen. Aus diesen Stunden entwickelten sich Wochen und sie gehörte zu einem festen Bestandteil meines Lebens. Zwar zählte diese Zeitspanne für einen Außenstehenden ihrer kurzen Dauer wegen nicht sehr viel, doch durch dieses Mädchen konnte ich die Welt aus einem anderen Blickwinkel sehen und diese Kunst ist vor ihr und nach ihr keiner Anderen gelungen. Ich begann, mir Gedanken über Ereignisse oder Zusammenhänge zu machen, auf die ich selbst zuvor nicht einmal aufmerksam gewesen wäre und diese Anregungen sind ein bedeutender Grund für meine Gefühle ihr gegenüber geworden. Wir haben uns nie darüber unterhalten, ob wir uns nun als ein offizielles Paar sahen, doch dass wir zusammengehörten, konnten wir ohne Worte spüren.
Davon ging ich jedenfalls aus. Sie machte mich sehr glücklich und in meinen Augen hatte ich für sie denselben Effekt. Niemand konnte mich auf eine derartig positive Weise beeinflussen. Niemand erschien mir je so anziehend, sowohl äußerlich wie auch auf ihre sonderbare Art. Zu dieser passte im Nachhinein leider auch das Verhalten, unerwartet keinen weiteren Kontakt mehr zu wünschen und mir den Grund nicht mitzuteilen.
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Ausreichend lange inne gehalten. Der Zug wird langsam und hält fast an, als Kontrast dazu setze ich mich langsam in Bewegung. Nun möchte ich wirklich ein Gespräch mit Ihr aufbauen. Als ich meinen letzten eigenen Widerstand sowie die Schiebetüre bewältigen konnte und sich mein Blick auf ihren Platz konzentriert, muss ich feststellen, dass Sie sich bereits zum Ausgang gewandt hat und gerade aussteigt. Benommen stehe ich mitten im Abteil und blicke Ihr durch die Fensterscheiben hinterher.
Sich gegen etwas zu sträuben, letztendlich aber dennoch dafür zu entscheiden und sogar damit beginnen, es zu wollen, kann sehr befremdlich wirken, wenn es erneut unerwartet verschwindet. Überrascht stehe ich noch eine Weile wie gelähmt an dieser Stelle. Dieses Gefühl, eine Person, die einem sehr nahe stand, nach dieser langen Zeit wieder sehen zu können und statt der Chance, sie anzusprechen, erneut verlassen zu werden, kann ich kaum beschreiben. Noch nie war mir etwas so fremd gewesen, denn ich spürte, dass es tief aus meinem Inneren kam.